ANCHU KÖGL

Studie über die Relativität von Glück: „Lottery Winners and Accident Victims: Is Happiness Relative?“

Das Glück relativ zu sein scheint, ist eine Jahrtausend alte Annahme, die  schon in Schriften von Philosophen aus dem vierten Jahrhundert v. Chr., wie zum Beispiel Protagora auftaucht.[1] Doch trotz der Bedeutung dieser Aussage für die Philosophie und die Gesellschaft gab es keine empirischen Studien zu diesem Thema bis zum 20. Jahrhundert.

Im Jahr 1978 haben Brickman, Coates & Janoff-Bulman eine Studie durchgeführt, um die Annahme zu prüfen, dass bedeutsame Ereignisse langfristig geringe Effekte auf das subjektive Glücksempfinden haben.[2] Diese Annahme wird mit der „Adaptations-Niveau-Theorie“ von H. Helson begründet, nach der eine Person ihr Glück immer relativ zu ihrem individuellen Standard und Bezugspunkt beurteilt.

Um diese Hypothese zu testen, führten die Autoren zwei Studien durch. In der ersten Studie verglichen sie das Glück von drei Gruppen: eine Gruppe von Lotteriegewinner, eine Gruppe von Menschen, die durch einen Unfall gelähmt wurden und einer Kontrollgruppe. Die zweite Studie diente vor allem dazu,  Effekte durch unterschiedliche Instruktionen der Teilnehmer auszuschließen.

Studie 1

Die Stichprobe bestand aus drei Gruppen: 22 Lotteriegewinner, 18 gelähmte Menschen und 22 Personen aus einer Kontrollgruppe. Mit allen Versuchsteilnehmern wurden Kurzinterviews durchgeführt. Das Ziel war, das jetzige, das vergangene und das erwartete Glück, sowie die empfundene Freude bei alltäglichen Aktivitäten zu erheben. Dafür wurde einer 6-Punkte-Skala benützt, wobei 0 der niedrigste und 5 der höchste Wert war. Die Zeit zwischen dem Interview und dem kritisches Ereignis (Lotteriegewinn oder Unfall) betrug zwischen einem Monat und einem Jahr.

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie waren:

  1. Lotteriegewinner bewerten das Vergnügen, dass durch alltägliche Ereignisse entsteht, deutlich niedriger als die Kontrollgruppe.
  2. Unfallopfer berichteten von einer glücklicheren Vergangenheit als die Kontrollgruppe. Dies kann als eine Art „Nostalgie-Effekt“ gesehen werden.
  3. Unfallopfer berichten in der Gegenwart ein niedrigeres allgemeines Glück als Lottogewinner. Jedoch war ihr wahrgenommenes Glück immer noch überdurchschnittlich (2.96 Punkte von 5 Punkten).

Studie 2

Diese Studie wurde zur Widerlegung alternativer Erklärungen für die Effekte aus Studie 1 durchgeführt. Studie 1 war kein Experiment und dadurch gibt es  alternative Hypothesen für die Ergebnisse. Eine Standard-Erklärung für die Ergebnisse nicht-experimentellen Studien ist zum Beispiel, dass die verglichenen Gruppen von Anfang an unterschiedlich sind.

In diesem Fall würde das bedeuten, dass Menschen, die Lotterie spielen systematisch anders sind als Menschen, die nicht Lotterie spielen – und das wäre ein wichtiger Faktor, der sich auf das empfundene Glück bei einem Gewinn auswirken könnte.

In Studie 2 wurden Lotteriespieler mit nicht Lotteriespieler verglichen und nach ihrem Glück in alltäglichen Situationen gefragt. Das Ergebnis war, dass sich das alltägliche Glück von Lotteriespieler nicht signifikant von nicht Lotteriespieler unterscheidet. Das widerlegte die Hypothese, dass die Ergebnisse aus Studie 1 darauf basieren, dass das Glücksniveau von den Gruppen von Anfang an unterschiedlich ist.

Schlussfolgerungen von Brickman, Coates & Janoff-Bulman

Die Autoren kamen zu drei Schlussfolgerungen:

  1. Lotteriegewinner haben weniger Freude an alltäglichen Ereignissen als die Kontrollgruppe. Dieser Effekt kann durch „Adaptations-Niveau-Theorie“ von H. Helson erklärt werden und führt zu der überraschende Tatsache, dass Lotteriegewinner in der Regel nicht glücklicher sind als Menschen, die nicht in der Lotterie gewonnen haben.
  2. Die Unfallopfer zeigten den erwarteten Kontrasteffekt. Sie verglichen die gegenwärtigen Ereignisse mit Ereignissen aus der Vergangenheit. Das kann man als „Nostalgie-Effekt“ bezeichnen und voraussichtlich wird dieser im Laufe der Zeit abschwächen.
  3. Die insgesamt positive oder negative Auswirkung eines einzigen positiven oder negativen Ereignisses sollte nicht überschätzt werden. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Auswirkungen um Kontrasteffekte, die die Effekte kompensieren, welche die Dauer der Gefühle, die durch ein Ereignis entstehen, begrenzen.

Kritik an der Studie

Die Bewertung des empfundenen Glücks in der Vergangenheit aus der aktuellen Perspektive ist hinsichtlich Validität fraglich. Des Weiteren ist die Studie nicht als Längsschnittstudie durchgeführt worden, was keine Innergruppenvergleiche ermöglicht und keine Beurteilung von Veränderungen erlaubt. Auch die Anzahl der Teilnehmer insgesamt sowie in den einzelnen Gruppen ist sehr klein, was die die Frage aufbringt, ob leichte Tendenzen bei einer größeren Anzahl an Teilnehmern nicht doch signifikant wären.

[1] Schönpflug, W. (2000). Geschichte und Systematik der Psychologie.
[2] Brickman, P., Coates, D., & Janoff-Bulman, R. (1978). Lottery winners and accident victims: Is happiness relative? Journal of Personality and Social Psychology, 36(8), S. 917.

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