Selbstliebe: Versuche nicht, dich selbst zu lieben

Selbstliebe ist ein wichtiger Grundstein für ein erfülltes Leben. Doch der Versuch, sich selbst zu lieben, geht oft nach hinten los. In diesem Artikel erfährst du deshalb, wie das mit der Selbstliebe wirklich funktioniert und warum du dich dafür nicht nackt vor dem Spiegel einreden musst, wie sehr du dich selbst liebst.

Selbstliebe-Gefühle sind gar nicht so einfachBeeinflusst durch unsere Konsumgesellschaft und die wachsende Selbstdarstellung im Internet glauben wir immer mehr, dass wir das Zentrum des Universums sind. Je mehr sich die Welt um uns dreht, desto wichtiger glauben wir zu sein.

Dadurch ist in den letzten Jahren immer mehr der Anspruch entstanden, sich selbst lieben zu müssen.

Seit einigen Jahren wird Selbstliebe immer mehr als eine notwendige Eigenschaft für ein glückliches Leben dargestellt.

Tagtäglich postet irgendjemand auf Social Media, wie wichtig dies doch sei. Auch beim Blick in ein beliebiges Lifestyle-Magazin wirst du an dem Thema kaum vorbeikommen. Und viele Menschen behaupten, dass du dich erst selbst lieben musst, bevor dich jemand anderes lieben kann.

Doch wie wahr ist das?

Natürlich ist die Beziehung zu dir selbst wichtig. Und je besser diese Beziehung ist, desto glücklicher und zufriedener wirst du wahrscheinlich sein.

Doch das heißt noch lange nicht, dass du dich über alles lieben musst, bevor du ein gutes Leben führen kannst.

Selbstliebe als notwendige Eigenschaft für ein erfülltes Leben vorauszusetzen führt nur dazu, dass wir unser Glück und unsere Zufriedenheit an eine weitere Bedingung knüpfen.

Auch Aussagen wie „nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben“ oder „wer sich selbst nicht liebt, kann nicht geliebt werden“ halte ich für sehr kritisch.

Oft genug ist es ja gerade die Liebe eines anderen Menschen, die uns hilft, alte Wunden zu heilen und uns selbst in einem besseren Licht zu sehen.

Der wachsende Anspruch, sich selbst zu lieben, führt zu viel Druck – und geht deshalb oft nach hinten los.

Sich selbst lieben? Wenn dich der Anspruch danach überfordert

Falls du nicht schon ein relativ gesundes Selbstwertgefühl hast, ist das Streben nach mehr Selbstliebe schnell überfordernd.

„Oh Mann! Wie soll ich mich denn überhaupt mögen? Ich bin doch ein Versager, kann nichts und bin unwichtig. Alle scheinen das mit den Selbstliebe-Gefühlen hinzukriegen, nur ich nicht …“

Zack, schon fühlst du dich noch ein bisschen beschissener als vorher.

Sich selbst zu lieben, bedarf ein gesundes Selbstwertgefühl

Der Anspruch, um jeden Preis all diese Gefühle für dich zu haben, kann schnell dazu führen, dass du dich noch schlechter fühlst, weil es so ein unerreichbares Ziel zu sein scheint.

Das ist vor allem dann der Fall, wenn man sich als Person nicht einmal mag, unzufrieden mit sich ist, und glaubt, die eigene Meinung sei nicht wichtig.

Falls du also ein schlechtes Selbstbild hast und dann versuchst, dich als ziemlich perfekten Menschen zu sehen, ist das so, als würdest du mit Fäustlingen versuchen Klavier zu spielen.

Aber Anchu! Es gibt doch diese positiven Affirmationen! Ich kann mich doch einfach jeden Tag nackt vor den Spiegel stellen und mir einreden, wie sehr ich mich selbst liebe!

Affirmationen werden gerne als Wundermittel verkauft. Doch wie die meisten Wundermittel haben auch positive Affirmationen einen großen Haken.

Selbstliebe-Affirmationen: Nicht so gut wie ihr Ruf

Die meisten Menschen, die ein besseres Selbstwertgefühl haben wollen, versuchen es früher oder später mit Selbstliebe-Affirmationen.

Sie reden sich also immer wieder ein, dass sie sich sehr lieb haben und dass sie wichtig sind.

Studien haben jedoch gezeigt, dass Selbstliebe-Affirmationen nur bei denjenigen funktionieren, die schon ein gutes Selbstwertgefühl haben. Also bei Menschen, die diese Affirmationen eigentlich nicht benötigen.

Bist du jedoch unsicher und hast ein niedriges Selbstwertgefühl, werden Selbstliebe-Affirmationen wahrscheinlich nicht funktionieren.

Laut einer renommierten Studie scheint es sogar so, dass Affirmationen bei Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl negative Effekte haben.

In der Studie wiederholten die Probanden folgende Affirmation: „Ich bin eine liebenswürdige Person“. Diese Affirmationen führte jedoch durch die Bank dazu, dass sich die Probanden schlechter fühlten als vorher.1

Wenn du also weit davon entfernt bist, dich gut zu finden und dir dann einredest, dass du dich so sehr liebst, wirst du dich wahrscheinlich eher schlechter als besser fühlen.

Warum helfen Selbstliebe-Affirmationen oft nicht dabei, dich besser zu fühlen?

Warum funktionieren Selbstliebe-Affirmationen bei vielen Menschen nicht oder führen sogar dazu, dass sie sich schlechter fühlen?

Weil eine Affirmation nur dann funktioniert, wenn sie zumindest ansatzweise unseren Erfahrungen und unserem Selbstbild entsprechen.

Entspricht eine Affirmationen (Ich liebe mich, Ich bin glücklich, Ich bin selbstbewusst, etc.) nicht unseren Erfahrungen oder unserem Selbstbild, verspüren wir einen inneren Konflikt. Wir haben dann das Gefühl, uns selbst zu belügen.

Nehmen wir an, du bist unzufrieden mit dir selbst und siehst dich nicht als einen liebenswürdigen Menschen. Redest du dir jetzt ein, dass du dich selbst liebst, wird sich wahrscheinlich eine kleine Stimme in deinem Kopf melden und dir widersprechen.

Deine Stimme wird sagen: Nein! Das stimmt doch gar nicht. Du liebst dich nicht selbst. Erzähle keinen Blödsinn, du Lügner!

Diese Stimme ist dein innerer Lügendetektor. Und dieser springt an, wenn du dir etwas einreden willst, das nicht mit deinem aktuellen Selbstbild und deinen Erfahrungen übereinstimmt.

Die Sache ist die: Dein Selbstbild hat sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt.

Es basiert unter anderem auf deinen Glaubenssätzen, deinen Werten, deinen Erfahrungen und deinem Umfeld. Und genau deshalb kannst du es auch nicht von heute auf morgen ändern.

Vor allem nicht dadurch, dass du dich nackt vor den Spiegel stellst und dir ein paar wünschenswerte Eigenschaften einredest.

Wenn eine positive Affirmation – wie zum Beispiel „Ich liebe mich“ – noch nicht mal ansatzweise deinem Selbstbild entspricht, wirst du sie nicht glauben können.

Dann kannst du dich genauso gut vor den Spiegel stellen und dir vollen Ernstes einreden, dass du Batman bist. Das funktioniert natürlich nicht. Erstens, weil du nicht Batman bist. Und zweitens, weil du nicht Batman bist.

Versuche nicht, dir etwas einzureden

Hat hier jemand Batman gesagt?

Wie lernt man also, sich selbst zu lieben?

In dem du dich in Selbstakzeptanz übst.

Übe dich in Selbstakzeptanz statt in Selbstliebe

Der wohl wirksamste Weg zu mehr Selbstliebe ist dich in Selbstakzeptanz zu üben. Das trifft vor allem dann zu, wenn du gerade nicht so gut über dich denkst.

Anstatt dir also andauernd einzureden, wie toll du bist und wie sehr du dich liebst, vergib dir für deine Fehler, akzeptiere deine Schwächen und nimm deine Schattenseiten an.

Dich selbst zu lieben kann in manchen Momenten unmöglich erscheinen. Sich in Akzeptanz zu üben und zu lernen, die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten anzunehmen, ist realistischer.

Auch wenn du ein sehr negatives Bild von dir hast, kannst du anfangen, dich in Selbstakzeptanz zu üben.

Statt dich selbst zu lieben, fange an, dich zu akzeptieren

Sie hat kein Vertrauen in sich

Der Weg zur Selbstliebe besteht also nicht darin, dich immer selbst zu lieben, sondern dich und all deine Seiten an dir zu akzeptieren – auch die Negativen.

Wie lerne ich mich zu akzeptieren?

Jeder Mensch hat Seiten an sich, die er nicht mag:

  • Schwächen oder Dinge, die er nicht gut kann.
  • Gewisse Eigenschaften, die er lieber nicht hätte.
  • Unsicherheiten und Ängste.
  • Etwas an seinem Aussehen.
  • Misserfolge aus der Vergangenheit.
  • Fehler, die er gemacht hat.

Selbstakzeptanz bedeutet, diese Dinge anzunehmen. Es geht also nicht darum, dass du dich unendlich lobst und auf alles, was du bist und getan hast, stolz bist.

Es geht darum, dass du deine Schattenseiten akzeptierst, sie als einen Teil von dir ansiehst und nicht mehr vor ihnen davonläufst.

Seinen eigenen Schattenseiten zu begegnen mag erst mal sehr schmerzhaft sein. Deshalb rennen die meisten Menschen auch ein Leben lang vor ihnen davon.

Doch nach dem ersten großen Schmerz beginnt die Heilung.

Fange also an, dahin zu schauen, wo es weh tut. Traue dich, dir das einzugestehen, was du dir bis jetzt nicht eingestehen wolltest.

Es der erste und wichtigste Schritt zu einer gesunden und stabilen Beziehung zu dir selbst.

Zu diesem Thema habe ich auch ein Video gedreht:

Selbstakzeptanz lernen: Unterscheide zwischen dir und dem, was du tust

Viele Menschen mit einem schlechten Selbstbild schließen von ihren Handlungen auf sich selbst als Mensch. Sie begehen einen Fehler oder scheitern und denken, sie seien deshalb schlechte Menschen. Personen mit einem gesunden Selbstbild unterscheiden hingegen eher zwischen sich und dem, was sie tun.

Mach dir bewusst, dass es per se keine guten oder schlechten Menschen gibt. Es gibt nur Menschen – und diese tun gute wie auch schlechte Dinge.

Auch ein Mensch, der viel Schlechtes getan hat, wird gute Seiten haben. Und auch ein Mensch, der viel Gutes tut, tut hin und wieder Schlechtes.

Nur weil du einen Fehler machst, bist du also kein schlechter Mensch. Nur weil du etwas tust, das komisch ist, bist du noch kein komischer Typ. Nur weil du scheiterst, bist du noch kein Versager. Was du tust und wer du bist, sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Das Problem ist, wenn du von deinen Taten auf dich als Mensch schließt und dich dann dafür verurteilst:

„Oh Mann! Ich habe es heute schon wieder nicht geschafft, meinem Chef mal die Meinung zu sagen. Ich bin so ein Versager und Nichtsnutz. Ich schaffe gar nichts und werde es nie zu etwas bringen.“

Zack, schon liegst du auf der Couch und frisst vor Frust Schokolade bis dir schlecht wird und versinkst in Selbsthass.

Mach dir bewusst, dass du OK bist, so wie du bist.

Es ist meistens erst der Anspruch an Selbstliebe, der uns überhaupt auf die Idee bringt, uns zu bewerten. Doch du kannst nicht nur schlecht oder nur gut sein.

Er liebt sich nicht, aber akzeptiert sich

Wir sind alle nur Menschen, die Dinge tun. Und diese Dinge sind manchmal gut und manchmal weniger gut. Aber das alleine macht uns noch nicht zu guten oder schlechten Menschen.

Nur, weil du mal etwas Komisches sagst, deine Angst nicht überwindest, versagst, einen Fehler begehst oder scheiterst, bist du noch lange nicht weniger Wert oder ein schlechterer Mensch.

Schreib dir das hinter die Ohren. Oder tätowiere es dir auf den Unterarm.

(Falls du unter großem Selbsthass leidest, lies diesen Artikel: Selbsthass: Wie du ihn überwindest)

Selbstakzeptanz vs. Selbstliebe

Eine gesunde Form von Selbstliebe hat nichts mit Egoismus oder Narzissmus zu tun. Doch das Streben nach mehr Selbstliebe führt nicht selten dazu, dass Menschen falsch abbiegen und sich selbst zu wichtig nehmen – was negative Auswirkungen auf ihr Leben hat.

Ich meine, schau dir unsere Gesellschaft an.

Immer mehr Menschen sind zu selbstverliebt.

  • Ihnen fehlt es an Selbstreflexion.
  • Sie können schlecht mit Kritik umgehen.
  • Sie sind unfähig, einen Fehler einzugestehen oder sich zu entschuldigen.
  • Sie brauchen die ständige Bestätigung von anderen.

Gerader der letzte Punkt ist ein sehr guter Indikator dafür, dass jemand ein ungesundes Selbstwertgefühl hat.

Falls du also jeden Tag ein Selfie auf Instagram postet, tust du das vermutlich nicht aus Selbstliebe, sondern weil du süchtig nach Bestätigung bist.

Sorry, Kumpel.

Narzissmus-Level: Gott

Selbstbewusstsein & Selbstvertrauen sind wichtig, aber nicht Selbstsucht

In unserer modernen „Schaut-alle-her-wie-geil-mein-Leben-ist“ Social-Media Gesellschaft glauben immer mehr Menschen dass sich die ganze Welt um sie dreht und anderen dazu da sind, ihre Bedürfnisse zu erfüllen und nach ihrer Pfeife zu tanzen.

Diese übertriebene Selbstbezogenheit führt dazu, dass immer mehr Menschen zu egoistischen Narzissten werden.

Und genau deshalb solltest du dich in Selbstakzeptanz üben, statt ständig zu versuchen, dich selbst zu lieben.

Wenn du dich eher auf Selbstakzeptanz konzentrierst, wirst du es vermeiden, eine zu selbstbezogene oder sogar narzisstische Einstellung zu entwickeln.

Es scheint sogar so, dass Menschen, die sich selbst akzeptieren und verzeihen können, besser mit negativen Erfahrungen umgehen können als Menschen mit hohem Selbstwertgefühl.2

Psychologen vermuten, dass das daran liegt, dass Selbstakzeptanz dir eher erlaubt, dir selbst gegenüber ehrlich zu sein und Fehler einzugestehen, während Menschen mit hohem Selbstwertgefühl unter Umständen dazu neigen, sich selbst zu belügen und das Negative zu ignorieren, um ihr Selbstbild aufrecht zu erhalten.

Bitte verstehe diese Ergebnisse und meine Aussagen nicht falsch.

Ein hohes Selbstwertgefühl und eine gesunde Form von Selbstliebe sind per se fantastische Eigenschaften. Doch der Weg dazu führt vor allem darüber, dass du deine Schattenseiten akzeptierst, dir selbst verzeihst und nicht den Anspruch hast, perfekt zu sein.

Denn wenn du dich ausschließlich auf deine positiven Seiten fokussierst, nie an dir zweifelst und glaubst, du bist perfekt, wirst du schnell zu einem selbstverliebten und egoistischen Idioten, dem jeglicher Blick für die Realität fehlt. Und davon gibt es leider schon zu viele auf dieser Welt.

Leidest du unter negativen Gedanken?

Nichts beeinflusst dein Leben mehr als deine Gedanken. In meinem Ratgeber Mindset erfährst du deshalb, wie du negative Gedanken loswirst, alten Schmerz hinter dir lässt und besser mit Stress umgehst. Trage deine E-Mail Adresse ein und ich schicke dir den Ratgeber kostenlos als PDF zu.

  1. Positive self-statements: power for some, peril for others (2009). Wood, J. V.; Perunovic, W. Q. & Lee, J. W. Psychol Sci. 2009 Jul;20(7):860-6. doi: 10.1111/j.1467-9280.2009.02370.x. Epub 2009 May 21.
  2. Leary MR, Tate EB, Adams CE, Allen AB, Hancock J. (2007). Self-compassion and reactions to unpleasant self-relevant events: the implications of treating oneself kindly. J Pers Soc Psychol. 2007 May;92(5):887-904.