Was ist Liebe wirklich?
Wir reden viel über die Liebe. Wir sehnen uns danach. Wir leiden wegen ihr.
Doch was ist Liebe überhaupt? Und was genau bedeutet es, wirklich und wahrhaftig zu lieben?
Liebe ist wunderschön. Sie ist verbindend, inspirierend, heilend und letztendlich ist sie das, was uns Menschen zusammenhält.
Doch müsste ich die Frage „Was ist Liebe?“ mit einem Wort beantworten, würde meine Antwort „kompliziert“ lauten.
Wenn es bloß so einfach wäre, wie es uns kitschige Lieder, Romane und Filme weismachen wollen, dann würden nicht so verdammt viele Beziehungen den Bach runter gehen.
Nicht nur vermeintliche Traumpaare wie Brad Pitt und Angelina Jolie oder Barbie und Ken trennen sich. Das Beziehungs-Aus kann jeden treffen. Selbst Psychologen, Beziehungsexperten und Paartherapeuten – also Menschen, die sich beruflich mit dem Thema beschäftigen und sich damit auskennen – werden von Trennungen nicht verschont.
Dass so viele Beziehungen scheitern, liegt vor allem daran, dass wir falsche Vorstellungen davon haben, was wahre Liebe ist, was sie bedeutet und was wir von ihr erwarten können. Und genau darum geht es in diesem Artikel.
Inhaltsverzeichnis:
- Was ist Liebe? Liebe vs. Verliebtsein.
- Was ist Liebe wirklich? Liebe ist egoistisch!
- Warum auch wahre Liebe nicht alles überwindet.
- Was bedeutet Liebe? Lieben heißt loslassen können
Bist du gerade lesefaul? Hier sind die wichtigsten Punkte des Artikels als Video:
Was ist Liebe? Liebe vs. Verliebtsein
Viele Menschen verwechseln das Verliebtsein mit Liebe. Doch diese beiden Dinge haben in etwa so viel gemeinsam wie ein romantischer Liebesfilm und ein Porno.
Sicher, es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als verliebt zu sein.
Wenn wir frisch verliebt sind, sind wir in einem dauerhaften Glückszustand, sind energiegeladen und plötzlich macht alles Spaß, selbst das Anstehen vor dem nach Bier stinkenden Pfandgutautomaten im Supermarkt.
Doch das Verliebtsein und das Gefühl von Liebe unterscheiden sich deutlich voneinander.1
Die Phase des Verliebtseins dauert im Durchschnitt zwischen sechs Monaten und drei Jahren an. Zwar ist das Verliebtsein selbst kein Gefühl, doch es führt dazu, dass wir andere Gefühle stärker oder schwächer wahrnehmen.2
In der Verliebtseinsphase sind wir stark auf den Partner und die Beziehung fixiert. Wir haben das Gefühl, unseren Seelenverwandten gefunden zu haben und können partout keine Schwächen an ihm sehen. Unser Partner scheint so perfekt zu sein, dass selbst seine Fürze für uns nach Chanel Nr. 5 riechen.
Das Gefühl des Verliebtseins ist sicherlich eines der schönsten Gefühle, die es gibt. Kein Wunder, dass Menschen danach süchtig werden können.3
Was bedeutet Liebe? Das Problem mit dem Verliebtsein
Das Problem an der Geschichte ist, dass viele Menschen das Verliebtsein mit Liebe verwechseln.
Neigt sich die Verliebtseinsphase dann dem Ende, glauben sie, dass es mit der Beziehung den Bach runter geht.
„Oh nein, wenn ich meinen Partner nach einem langen Arbeitstag abends wiedersehe, habe ich gar keine Schmetterlinge mehr im Bauch. Unsere Liebe ist erloschen! Es wird Zeit, dass ich Tinder wieder installiere. Und der eine Arbeitskollege scheint auch nicht uninteressiert zu sein …“
In Wahrheit ist die Liebe nicht erloschen. Die Beziehung geht jedoch in eine neue Phase über, in der die romantische Verliebtheit dem Gefühl von wahrer Nähe und Zusammengehörigkeit weicht.
Leider verstehen viele Menschen diesen Wandel nicht und beenden ihre Beziehung, um sich den nächsten Verliebtseins-Kick zu holen.
Ja, verliebt zu sein ist ein schönes Gefühl und man fühlt sich während der Phase verdammt gut. Doch genauso wie das High nach ein paar Lines Koks ist auch das Verliebtseinsgefühl nicht von Dauer – auch wenn es deutlich länger anhält und um Einiges gesünder ist.
Mache dir bewusst, dass das Bild von einer lebenslangen romantischen Liebe vor allem eine Erfindung von Autoren und Filmproduzenten ist und nur selten die Realität widerspiegelt.
Wahre Liebe sieht in der Realität meistens weniger romantisch aus als es in Romanen oder Filmen dargestellt wird.
Lieben ohne verliebt zu sein ist somit nichts trauriges, sondern schlichtweg Realität.
Sicherlich gibt es Paare, die auch nach Jahrzehnten noch von dem Verliebtsein oder der großen Liebe sprechen. Doch viel häufiger sprechen sie von Vertrauen, Nähe, Respekt, Verständnis oder sehen den Partner als einen guten Wegbegleiter.
(Falls dich das ganze Thema interessiert, kannst du in diesem Artikel der Welt nachlesen, was Liebe in unserem Gehirn auslöst.)
Was ist Liebe wirklich? Liebe ist egoistisch!
Stellt man Menschen die Frage „Was ist Liebe?“ bekommt man häufig zu hören, dass wahre Liebe bedeutet, den anderen bedingungslos anzunehmen.
Bedingungslose Liebe – das ist die wahre Liebe…
Diese Aussage entspricht der romantische Vorstellung von Liebe. Doch die Realität sieht anders aus, denn Liebe ist bis zu einem gewissen Punkt auch egoistisch.
Diese Aussage mag dich schockieren und ich bin mir sicher, dass mir hier einige Menschen widersprechen werden. Lass mich diesen Punkt deshalb erklären, bevor du mir den Titel des unromantischsten Menschen des Jahres verleihst.
Sicherlich müssen wir in einer Beziehung und bei der Liebe gewisse Kompromisse eingehen. Doch jeder Mensch hat bestimmte Erwartungen und Vorstellung von einer Beziehung. Und nur so lange diese erfüllt sind, lieben wir unseren Partner.
Es gibt Ausnahmen, doch generell lieben wir einen Menschen nur so lange, wie er auch unsere Erwartungen und Bedürfnisse erfüllt.
In dem Moment, in dem unser Partner zum Beispiel unser Bedürfnis nach Vertrauen, Anerkennung, Sex, Zärtlichkeit, Sicherheit oder Ähnlichem nicht mehr erfüllt, schwindet meistens auch die Liebe.
Das ist weder verwerflich noch verwunderlich, sondern schlichtweg menschlich. Liebe besteht aus Erwartungen und dem Erfüllen dieser Erwartungen.
Bedingungslose Liebe ist vor allem ein romantische Wunschvorstellung.
Was ist bedingungslose Liebe? Eher eine romantische Wunschvorstellung
Nehmen wir zum Beispiel an, du verliebst dich in einen Menschen, weil er dir so gut zuhört, zärtlich und respektvoll ist, du mit ihm über alles sprechen kannst, er dich zum Lachen bringt und du mit ihm den besten Sex deines Lebens hast.
Nach einigen Jahren hat sich dieser Mensch nun geändert. Während du ihm etwas Wichtiges erzählst, tippt er lieber auf seinem Smartphone rum, Zärtlichkeit und Respekt kennt er nur noch aus dem Wörterbuch, wann ihr das letzte Mal zusammen gelacht habt, hast du vergessen und beim Sex ist es schon ein Höhepunkt, wenn sich dein Partner die Socken auszieht und das Ganze länger als fünf Minuten dauert.
Bedingungslose Liebe würde nun bedeuten, dass du ihn immer noch genauso liebst wie vorher.
Doch wie realistisch ist das?
Liebe und Bedürfnisse
Zu verstehen, dass bedingungslose Liebe mehr eine Wunschvorstellung als Realität ist, ist ein wichtiger Schritt zu besseren Beziehungen.
Denn je mehr zwei Partner auf ihre gegenseitigen Erwartungen eingehen, desto mehr Chance hat ihre Liebe.
- Wenn es deinem Partner wichtig ist, dass du einmal die Woche mit ihm zusammen joggen gehst, dann geht mit ihm joggen. Aber bitte tut es nicht im Partnerlook, das ist lächerlich.
- Wenn es deinem Partner wichtig ist, dass er dir alles erzählen kann, dann höre deinem Partner aufmerksam und verständnisvoll zu, ohne ihn zu verurteilen. Gebe ihm das Gefühl, dass er dir alles erzählen kann und du ein Ohr für ihn hast.
- Wenn es deinem Partner wichtig ist, dass du auf dein Äußeres achtest, dann tue es. Kauf dir neue Klamotten, gehe zum Friseur und trenne dich von deinem geliebten Bier formte diesen schönen Körper T-Shirt.
Du sollst nichts tun, was gegen deine eigenen Werte verstößt. Auch musst du dich nicht vollkommen für die Wünsche deines Partner aufopfern, schließlich besteht jede Beziehungen aus Kompromissen.
Versuche jedoch, die Erwartungen deines Partners so gut wie möglich zu erfüllen, denn dadurch nährst du auch seine Liebe für dich.
Den Ausdruck „Ich tue es dir zu liebe“ gibt es schließlich nicht umsonst.
Nein, auch wahre Liebe kann nicht alles überwinden
Schon mal Folgendes gehört?:
Liebe kann alles!
Der wahren Liebe wird nachgesagt, dass sie alles überwindet. Sie versetzt Berge, verändert Menschen und für sie lohnt es sich, bis zum bitteren Ende zu kämpfen.
Diese romantische Einstellung schadet jedoch. Denn auch die große Liebe kann nicht alle Hürden überwinden.
Schon als sich mein Vater und meine Mutter kennengelernt haben, war mein Vater Alkoholiker. Er war selbstständig und erfolgreich, doch jeden Abend betrank er sich. Seine Sucht beeinflusste maßgeblich die Beziehung und das Familienleben. Lange Zeit hat jedoch meine Mutter nicht aufgegeben und geglaubt, dass mein Vater für sie das Trinken aufgeben würde. Wahre Liebe überwindet schließlich alles, richtig? Pustekuchen.
Bis zu seinem Tod im Jahr 2014 hat mein Vater täglich getrunken. Er hat weder für die Liebe meiner Mutter noch für die Liebe seiner eigenen Kinder mit dem Trinken aufgehört. Nach etlichen Krisen hat ihn meine Mutter dann verlassen. In den letzten Jahren seines Lebens war mein Vater einsam, depressiv und der Alkohol hat ihn zerfressen.
Das Ergebnis: Alkohol 1 – Liebe 0.
Wie stark kann Liebe sein? Stark, aber sie überwindet nicht alles
Klar, Menschen mit einem Suchtproblem sind ein Fall für sich. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass sich ein Mensch erst ändert, wenn er das will – egal, wie sehr du ihn liebst.
Obwohl du es dir noch so sehr wünscht, du kannst einen anderen Menschen nicht ändern. Schreib dir das hinter die Ohren. Oder die modernere Variante: Lass es dir auf den Unterarm tätowieren.
Unerfüllte Liebe
Der Glaube, dass Liebe alles überwindet, führt auch dazu, dass Menschen jahrelang einem anderen Menschen hinterherrennen, der nicht an ihnen interessiert ist.
Sie hoffen, ihn mit ihrer Liebe anzustecken und ihn letztendlich doch zu erobern.
Klappt das manchmal? Ja. Aber äußerst selten.
Fragst du diesen einen Menschen, bei dem sich das jahrelange Kämpfen gelohnt hat, wird er dir sicherlich sagen:
„Zweifel nie an der wahren Liebe! Liebe überwindet alles!“
Dabei sollten wir jedoch nicht übersehen, dass auf den einen Menschen, bei dem sich das lange Kämpfen gelohnt hat, viele enttäuschte und einsame Frauen und Männer kommen, bei denen es sich nicht gelohnt hat. Und von diesen bekomme ich täglich eine Menge verzweifelter E-Mails …
Liebe kann Vieles bewirken und lässt Menschen außergewöhnliche Dinge tun. Doch Liebe überwindet nicht alles.
Zu hoffen, dass wir durch unsere Liebe einen Menschen verändern können oder jahrelang einem anderen Menschen hinterherzurennen ist so naiv wie zwei Wochen vor dem Sommerurlaub noch fünf Kilogramm abnehmen zu wollen.
Jemanden lieben, den man nicht haben kann, ist schrecklich
Es gibt Menschen, die uns nicht gut tun, obwohl sie uns lieben. Und es gibt Menschen, die uns nicht lieben, obwohl wir sie lieben. Und deshalb müssen wir manchmal Nein zur Liebe sagen, um Ja zu uns selbst zu sagen.
Was ist Liebe? Eine Beziehung braucht mehr als Liebesgefühle!
Eine Beziehung braucht mehr als nur Liebe. Liebe ist die Grundlage, das Fundament, auf dem eine Beziehung steht. Doch Liebe reicht nicht aus. Zwei Partner brauchen auch ähnliche Werte und Ziele. Ansonsten wird das Zusammenleben kompliziert.
Zwei Beispiele:
- Nehmen wir an, dass du ein extrovertierter Mensch bist, der gerne auf Partys geht. Du genießt es, neue Menschen kennenzulernen und trinkst gerne ausgefallen Cocktails mit komplizierten Namen, die mehr Kosten als ein Gebrauchtwagen. Dein Partner hingegen ist ein introvertierter und ruhiger Mensch, der abends lieber zuhause bleibt und Brettspiele spielt oder sich die neusten Serien auf Netflix anschaut. Allein dieser eine Unterschied wird immer wieder zu Diskussionen, Differenzen und Problemen bei der Abendplanung führen und das Zusammenleben kompliziert machen.
- Sagen wir, dein größter Wunsch ist es, Kinder zu kriegen. Nichts wünschst du dir mehr, als mit deinem Partner eine Familie zu gründen und einen schicken „Baby an Bord“ Aufkleber an die Heckscheibe deines Autos zu kleben. Dein Partner hingegen hält rein gar nichts von Nachwuchs und das Letzte, was er will, ist Windeln zu wechseln und Kindergeburtstage zu organisieren.
Das Dilemma aus dem ersten Beispiel könntest du durch Kompromisse und Rücksichtnahme vielleicht noch lösen. Aber beim zweiten Beispiel wird es schwierig. Beide Menschen stehen vor einer sehr komplizierten Entscheidung:
Den eigenen Wunsch für die Liebe des Partners opfern oder an seinem eigenen Wunsch festhalten und den Partner verlassen?
Nehmen wir an, dass die beiden sich für die Liebe entscheiden und auf Kinder verzichten. Beide verdienen gut und da sie keine Kinder haben genießen sie das Leben in vollen Zügen. Sie reisen viel, gehen in die Oper und lernen auf schicken Jet-Set-Partys andere kinderlose Paare kennen.
Nach einigen Jahren wird der Mensch, der auf seinen Kinderwunsch verzichtet hat, jedoch immer unzufriedener. All die Reisen und all die schicken Jet-Set-Veranstaltungen reizen ihn nicht mehr. Er spürt seinen Wunsch nach einer Familie immer stärker.
Liebe ist die Grundlage einer Beziehung. Doch damit eine Beziehung funktioniert, braucht es mehr als nur Liebe.
Lieben heißt loslassen können
Ich habe die Fragen „Was ist Liebe?“ und „Was bedeutet Liebe?“ in diesem Artikel nicht eindeutig beantwortet.
Warum?
Weil du letztendlich selbst entscheiden musst, was Liebe für dich bedeutet.
Ich reise zum Beispiel seit mehrere Jahren um die Welt und habe keine festen Wohnsitz. Auch in meiner Kindheit bin ich mehrmals umgezogen. Es gibt somit keinen Ort auf dieser Welt, an dem ich mich wirklich Zuhause fühle. Für mich bedeutet Liebe deshalb auch, dass ich mich bei einer Frau Zuhause und geborgen fühle. Bei dir ist das vielleicht völlig anders.
Des Weiteren verändert sich unser Verständnis von Liebe auch meistens mit der Zeit und unseren Beziehungen.
Ein Teenager, der zum ersten Mal verliebt ist, wird nicht das gleiche Verständnis von Liebe haben wie ein Mensch, der seit über 40 Jahren verheiratet ist.
Doch ganz egal, was Liebe für dich bedeutet, du solltest sie loslassen.
Manchmal schwindet die Liebe. Manchmal wird sie nicht erwidert. Manchmal tut sie uns nicht gut. Und manchmal fühlt es sich an, als würde uns jemand das Herz aus der Brust reissen und es vor unseren Augen verspeisen.
Doch du kannst die Liebe nicht festhalten oder kontrollieren. Du kannst sie nur loslassen.
Und je mehr du die Liebe loslässt, je weniger Anforderungen du an die Liebe stellst und je mehr die Liebe sein darf, statt sein muss, desto mehr Liebe wirst du in deinem Leben erfahren.
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- Wulf, C. & Mees, U. (2009). Liebe und Verliebtsein. In V. Brandstätter & J. H. Otto (Hrsg.), Handbuch der Allgemeinen Psychologie – Motivation und Emotion (S. 596-604)/note] So schön das Verliebtsein auch sein mag, es handelt sich hierbei um einen Ausnahmezustand unseres Gehirns.
- Aron, A.; Fisher, H.; Mashek, D.J.; Strong, G.; Li, H. & Brown, L. L. (2005). Reward, motivation, and emotion systems associated with early-stage intense romantic love. J Neurophysiol. 2005 Jul;94(1):327-37. Epub 2005 May 31
- Brizendine, L. (2008). Das weibliche Gehirn: Warum Frauen anders sind als Männer.