RIP Helmut Abeln (mein Vater)

Mein Vater war ein Lebemann. Er hat insgesamt sieben Kinder mit vier verschiedenen Frauen gezeugt, einige davon fast parallel. Das erste Kind zeugte er, als er 20 Jahre alt war, das Letzte, mit 59 Jahren.

Er war Alkoholiker und Kettenraucher. Ab meinem fünften Lebensjahr sah ich meinen Vater nur noch selten und er hat mir, meiner Mutter, meinen Geschwistern und einer anderen Familie viel Schmerz und Leid zugefügt.

Es war nicht leicht, mit dreizehn Jahren mitzubekommen, wie meine Mutter in Tränen ausbrach, weil sie gerade erfahren hatte, dass es noch eine andere Frau gibt, mit dem ihr Mann zwei Kinder in einem ähnlichen Alter wie ihre eigenen hat.

Es war nicht leicht, zu realisieren, dass mein Vater den Alkohol einem glücklichen Familienleben bevorzugte.

Es war nicht leicht, zuzugucken, wie sich in den letzten Jahren mein Vater mehr und mehr selbst zerstörte und sein Leben den Bach runterging, während ich und andere Menschen nur zugucken konnten (Ich habe alles probiert, um ihm zu helfen, musste aber letztendlich Abstand nehmen, denn ansonsten wäre ich selbst daran kaputt gegangen).

Trotz alle dem, war mein Vater für mich ein Vorbild und ich habe ihn immer geliebt. Ich bewunderte seinen Humor, seinen außerordentlichen Intellekt, seine Aufrichtigkeit und seine Lebensfreude. Er betrachtete die Dinge anders als die meisten Menschen, blickte hinter den Vorhang und erkannte Zusammenhänge, die anderen verborgen blieben.

Als ich 21 und er 69 Jahre alt war, rauchten wir zusammen einen Joint. Wir lachten uns dann über eine Kartoffel kaputt, die die Form eines Herzens hatte – oder eines Frauenhinterns, kam ganz auf die Betrachtungsweise an. Und genau das lernte ich von ihm:

Die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Jedoch wurde in den letzten Jahren dieser außergewöhnliche Mann, zu dem ich jahrelang hinaufgeschaut habe, zum Schatten seiner selbst. Aufgefressen vom Alkohol, der Pleite seiner Firma und der Aussichtslosigkeit der Situation, war er ein gebrochener Mann.

Als ich Anfang 2013 nach Südamerika reiste, ging es ihm elend. Körperlich war er am Ende, psychisch sowieso. Ich dachte, ich würde ihn nie wieder sehen. Während meiner 15 Monate in Südamerika meldete ich mich nur ein einziges Mal bei ihm – an seinem 73. Geburtstag. Ich hielt seine Nähe nicht aus und war letztendlich froh, dass ich tausende von Kilometer weg war.

Mein Vater un di

Mein Vater und ich – Mai 2014 in Berlin

Als ich im April dieses Jahres zurück nach Berlin kam, war ich umso überraschter, in welch guter Verfassung mein Vater wieder war. Er war gut gelaunt, hatte seinen alten Humor und seine Lebensfreude wieder und war voller Tatendrang.

Es war ein schönes Wiedersehen. Ich hatte das Gefühl, dass wir beide gewachsen sind und Frieden mit der Vergangenheit geschlossen hatten. Auch wenn es mir schwerfiel, ich hatte ihm verziehen. Letztendlich hatte ich verstanden, dass meinem Vater seine persönliche Freiheit über alles andere ging: seinen Kindern, deren Mütter und auch seiner eigenen Gesundheit. Er war niemandem treu gewesen, außer sich selbst – was häufig, dass Allerschwierigste ist.

In den paar Wochen in denen ich in Berlin war, fanden wir heraus, dass wir den gleichen Lieblingsautor haben – Charles Bukowski. Die beiden waren sich ähnlich: Alkoholiker, Freigeister, Frauenhelden und Dichter – nur das mein Vater nie berühmt wurde.

Ich erzählte meinem Vater, dass ich mein Studium abgebrochen, ein Buch geschrieben und mich selbstständig gemacht hatte. Ich erklärte ihm, dass das Ingenieursstudium und eine spätere Karriere in einer großen Firma nicht mein frei gewählter Weg waren. Er war nicht begeistert, verstand es aber, schließlich ging es um persönliche Freiheit.

Auch gab ich ihm mein Buch, da er es unbedingt lesen wollte.

Kurz nachdem ich aus Berlin abgereist war, erhielt ich die Nachricht, dass mein Vater ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Nach ein paar Tagen war er nicht mehr ansprechbar.

Nacheinander besuchten ihn all seine Kinder und nach drei Wochen fehlten nur noch meine Schwester und ich. Ich erfuhr dann, dass ihn die Ärzte schon zweimal ins Leben zurückgeholt hatten. Eigentlich wollte ich erst eine Woche später nach Berlin fahren, doch ich hatte das Gefühl, dass er nicht mehr so lange warten würde. In einer Nacht und Nebelaktion fuhr ich dann über 700 Kilometer nach Berlin.

Am nächsten Tag besuchte ich ihn im Krankenhaus und erkannte ihn nicht wieder. Ich dachte zu erst, ich wäre im falschen Zimmer, bis mir dann auch die zweite Krankenschwester beteuerte, dass es schon das richtige sei. Mein Vater atmete zwar noch, aber er war nur noch eine leere Hülle. Er konnte nicht reden und erkannte uns nicht mehr, aber ich bin mir sicher, er spürte, dass wir bei ihm waren.

Ich nahm innerlich Abschied von ihm und sagte, dass er jetzt gehen könne, denn seine Zeit sei gekommen. Ich gab ihm einen Abschiedskuss auf den Kopf und am nächsten Tag starb er. Er hatte nur noch auf meine Schwester und mich gewartet.

Sicherlich war er nicht immer ein Vorzeige-Vater, doch habe ich viele wichtige Lektionen von ihm und vor allem auch durch ihn gelernt. Die wohl Wichtigste:

Jeder sollte selbst frei entscheiden, wie er sein Leben leben will.

Mein Vater verstarb am 25.06.2014 im alter von 74 Jahren. Er wurde ein paar Monate älter als Charles Bukowski.

Ruhe in Frieden, Papa.

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19 Kommentare
  1. Christian
    Christian sagte:

    mein beileid auch, schönn, dass du ihm noch verziehen hast, bevor er verstarb – nehm an an den folgen von nem schlaganfall?

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  2. Sebastian
    Sebastian sagte:

    Dieser Artikel hat mich wirklich bewegt. Im Gegensatz zu dir hatte ich nie wirklich eine schwierige Beziehung zu meinem Vater. Jedoch finde ich es absolut beeindruckend wie du trotz der Tatsache, dass dein Vater Alkoholiker war und ihr eure Meinungsverschiedenheiten hattet, dich von seiner Art das Leben zu leben inspirieren gelassen hast.

    Jeder sollte selbst entscheiden, wie er sein Leben leben will. Das ist ein wahres Wort und ich denke in einer Situation in der man einen geliebten Menschen verliert bekommt man direkt vor Augen gehalten, dass man sterblich ist und dass es wichtig ist seinen Träumen zu folgen.

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  3. Dominik
    Dominik sagte:

    Hallo Anchu,

    dieser Beitrag hat mich zum Nachdenken gebracht.

    Ich habe ein – aus meiner Sicht zumindestens – nicht so gutes Verhältnis zu meinem Vater ( auch ein Helmut). Er hat nie etwas getan und genau darin besteht das Problem. Ich kann ihm, „dem Bösewicht“, nicht verzeihen, dass er mir nie seine Zuneigung gezeigt hat, geschweige denn, wie ich ein Mann werde. Ich habe bis heute nichts von ihm gelernt. Höchstens wie man jähzornig wird und kleinen Kindern Ohrfeigen verpasst (inzwischen hat sich das bei ihm gelegt, bin ja jetzt fast 20). Ich habe nur den Gedanken im Kopf: So wie mein vater will ich niemals sein.“

    Vielleicht gehört es zu Punkt 2 der männlichen Polarität (Frei sein) auch dazu, seinem Vater zu verzeihen.
    Erst durch Verzeihen kann der Weg zu einem selbstbestimmen Mann geöffnet werden.

    Vielen Dank für diese Anregung.
    Natürlich auch mein Beileid.

    Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.
    Bertolt Brecht

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    • Anchu Kögl
      Anchu Kögl sagte:

      Hi Dominik,
      danke für die offenen Worte.
      Ja, ich denke, Verzeihung ist hier das Wichtigste. Ich denke, dass es unsere Väter selbst oft nicht besser wussten. Mein Vater hat seinen Vater 1945 im Krieg verloren und ist im Heim aufgewachsen.
      Egal, was ein Mensch getan hat, es steht uns immer frei, ihm zu verzeihen. Das mag manchmal schwer sein, doch ich bin davon überzeugt, dass es letztendlich der einzige Weg ist um innerlich frei zu sein und deinen Weg zu gehen.
      LG

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  4. Pit Hausemer
    Pit Hausemer sagte:

    Hey Anchu,

    Ich denke immer mehr dass das Thema Verletzlichkeit eines der Dinge sind die uns am meisten wachsen lassen und uns auch Dinge erleben lassen wie tiefergehende Beziehungen, die ohne das überhaupt nicht möglich wären.

    Der Artikel ist einer der berührensten, die Ich je gelesen habe. Vermutlich weil auch Ich nie ein wirklich gutes Verhältnis zu meinem Vater hatte.

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    • Anchu Kögl
      Anchu Kögl sagte:

      Hi Pit,
      ich mache ähnliche Erfahrungen. Verletzlichkeit ist eines der Dinge, die auch mich persönlich sehr viel beschäftigen.
      Leider haben immer mehr Menschen ein schlechtes Verhältnis zu ihrem Vater – mit immensen Auswirkungen auf unser Leben.
      LG

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  5. Kabitz
    Kabitz sagte:

    Goethe sagte: Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen.
    Mit 13 Jahren verlor ich meinen Vater. Er starb mit 61 Jahren..
    Ich erbte von ihm die Liebe zu Lebensweisheiten und Zitaten. Nicht alle, die er mir beibrachte, behielt ich, um so mehr sammelte ich., wo icfh welche entdeckte. .Manche wurden erst später umgesetzt, verwiklicht.
    „Wunschlos glücklich“ eine alte Volksweisheit, Also zufrieden sern, in der Gegenwart leben, den „Augenblick “ genießen.
    „Der Klügere gibt nach“ war ein Spruch meines Vaters. Als ich meine Ohnmcht bei einer Auseinanderersetzung mit anderen Kindern bemerkte, benutzte ich den Spruch als Waffe oder Rettungsanker. Später erst erkannte ich, es ist klüger, einsichtiger nachzugeben, dem der anders denkt seine Ansicht zu lassen, statt ihm vergeblich meine Ansicht aufzudrängen, wenn er sie nicht nehmen kann.

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